David Moser
13.09.2024 / 6 Minuten Lesezeit

Competition versus Cooperation

Kürzlich las ich das spannende Buch «The Knowing-Doing Gap» von Jeffrey Pfeffer und Robert I. Sutton. Das Buch erklärt – u.a. mit vielen Fallbeispielen – warum sehr viele Unternehmen eigentlich wissen, was zu tun wäre, aber das Wissen nicht in Aktionen umsetzen können.
Das Buch ist u.a. bei Orell Füssli oder bei amazon erhältlich. Besonders interessant fand ich das Kapitel 6 mit dem Titel «When Internal Competition Turns Friends into Enemies». Die Autoren erläutern darin die schädlichen Auswirkungen des internen Wettbewerbs innerhalb von Organisationen. Sie argumentieren, dass Wettbewerb zwar oft als Mittel zur Motivation der Mitarbeiter und zur Leistungssteigerung angesehen wird, aber tatsächlich den gegenteiligen Effekt haben kann, indem er die Zusammenarbeit untergräbt und die effektive Umsetzung und Anwendung von vorhandenem Wissen verhindert.
The Knowing-Doing Gap von Jeffrey Pfeffer und Robert I. Sutton

Bringt Wettbewerb mehr Leistung?

Der Grad des Wettbewerbs ist eine Wahl

Die Autoren betonen, dass der Grad des Wettbewerbs innerhalb eines Unternehmens eine Wahl und keine Unvermeidbarkeit ist. Vor allem in den USA herrscht die Meinung, dass durch Wettbewerb eine höhere Performance erreicht wird. Wettbewerb wird als Motor angesehen, der die Wirtschaft vorwärtstreibt und Ursache des Erfolgs des Kapitalismus ist.
Analog wird Wettbewerb innerhalb eines Unternehmens genutzt, um Innovationen voranzutreiben sowie Effizienz und bessere organisatorische Performance zu erreichen. Bekannt für diesen Ansatz war zuerst The Lincoln Electric Company, über die die Harvard Business School eine berühmte Fallstudie verfasste. Auch Andy Grove, ehemaliger CEO von Intel, vertrat diesen Ansatz vehement.

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Anzeichen für den unternehmensinternen Wettbewerb sind u.a. folgende:

  • Für die jährlichen Leistungsgespräche gibt es einen vorgegebenen Prozentsatz von «Outperformer» und «Underperformer».
  • Es gibt Awards und Belohnungen für Einzelpersonen, wie zum Beispiel «Mitarbeiter des Monates».
  • Erzwungene Verteilung von Lohnerhöhungen, d.h. was eine Person mehr bekommt kann eine andere Person nicht bekommen.
  • Wettbewerbe zwischen Teams oder Abteilungen mit monetären oder nicht monetären Preisen.
  • Publizierte Rangliste der Leistung von Teams oder Einzelpersonen.

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Alle diese Praktiken bilden ein «Nullsummenspiel», d.h. der Erfolg oder Gewinn einer Person oder eines Teams kommt auf Kosten eines anderes. Es gibt nur eine «Top-Person» oder ein «Winner-Team», und damit gibt es automatisch auch eine «Bottom-Person» oder ein «Loser-Team».

Definition «Nullsummenspiel» (Quelle Bild: investopedia.com)

Aus Freunden werden Feinde

Ohne Zweifel können solche «Spiele» dazu ermuntern, hart zu arbeiten, und die Gewinner profitieren. Aber es zeigt sich dabei, dass nicht nur die Verlierer verlieren, sondern oft die gesamte Organisation. Grund dafür ist, dass die Zusammenarbeit unter dem Wettbewerb massiv leidet und damit eigentlich vorhandenes Wissen nicht in Aktionen umgesetzt wird. Die Mitarbeiter konzentrieren sich darauf, sich gegenseitig zu übertreffen, anstatt gemeinsam auf gemeinsame Ziele hinzuarbeiten. Dies kann zu einem vergifteten Arbeitsumfeld, einer schlechteren Arbeitsmoral und einer mangelnden Bereitschaft zum Wissensaustausch führen, was für Innovation und organisatorisches Lernen unerlässlich ist.

Aus Freunden werden Feinde (Quelle Bild: Premium Jackets)

Die Autoren zeigen anhand von mehreren Fallbeispielen, dass interner Wettbewerb in der Regel auch zu einer hohen Fluktuationsrate führt. «Losers» verlassen das Unternehmen aus Frustration oder werden entlassen, «Winners» gehen selber in Erwartung eines höheren Gehalts bei einem anderen Unternehmen.

Besonders eindrücklich ist das Fallbeispiel von Microsoft, wo eine extreme interne Wettbewerbskultur herrscht. Es wird erklärt, dass die hohe Zahl von Bugs bei einer neuen Software eine direkte Folge ist davon.

Ein anderes Fallbeispiel (General Motors) legt dar, dass gegenseitiges Lernen voneinander in einer Wettbewerbskultur praktisch verunmöglicht wird, denn wenn ich zum Beispiel als Abteilungsleiter eine gute Methode von einem anderen Abteilungsleiter übernähme, dann würde das ja automatisch bedeuten, dass der andere Abteilungsleiter besser ist als ich. Also verweigere ich mich dem Wissen des anderen Abteilungsleiters und lehne es schlicht ab.
Das berühmte Joint Venture zwischen GM und ToyotaNUMMI in Fremont – wurde primär dazu gegründet, dass alle anderen Fabriken von GM davon lernen können. NUMMI selber war sehr erfolgreich, aber das Lernen der anderen GM-Fabriken von NUMMI hat aufgrund des Wettbewerbsdenken überhaupt nicht funktioniert. GM ging schliesslich in Chapter 11…

NUMMI Fabrik in Fremont, CA (Quelle Bild: Ellen Levy Finch)

Interner Wettbewerb ist am ehesten verbreitet und schädlich, wenn ...

  • Menschen Anreize haben, anderen nicht zu helfen oder sogar deren Arbeit zu untergraben;
  • Führungskräfte so handeln, als ob Leistung aus der Summe individueller Handlungen resultiert, anstatt aus voneinander abhängigen Verhaltensweisen wie Zusammenarbeit, Wissensaustausch und gegenseitiger Unterstützung;
  • Das Management verhält sich so, als würden die Mitarbeiter im Unternehmen in einem «Wettrennen» oder «Spiel» gegeneinander antreten, bei dem sie Konkurrenten innerhalb des Unternehmens sind und es nur wenige Gewinner und viele Verlierer gibt;
  • Die Art und Weise, wie die Arbeit verwaltet wird, lenkt die Menschen von der eigentlichen Aufgabe ab, weil sie das Gefühl haben, unter Beobachtung zu stehen, ständig mit anderen verglichen zu werden und sich deshalb auf das konzentrieren, was die internen Rivalen im Unternehmen tun;
  • Es wird mehr Wert auf vergleichende oder relative als auf absolute Evaluierungen gelegt;
  • Führungskräfte werden ausgewählt, weil sie den Wettbewerb schätzen und in der Vergangenheit ihre Kollegen in Nullsummenspielen dominiert haben;
  • Der Macht der Erwartungen und der sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird wenig Beachtung geschenkt, sodass Menschen als «Verlierer» oder als Teil eines schlechten Teams abgestempelt werden und sich wertlos fühlen und dem Unternehmen gegenüber Ressentiments entwickeln.

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Zusammenarbeit hat Vorrang vor Wettbewerb

Unternehmen, die der Zusammenarbeit Vorrang vor dem Wettbewerb einräumen, schneiden deshalb langfristig tendenziell besser ab, da Zusammenarbeit den Wissensaustausch und die gemeinsame Problemlösung fördert. Als Referenz gebe ich hier Alfie Kohn an. In seinem Buch «No Contest: The Case Against Competition» legt er dar, dass Menschen auch ohne Wettbewerb hohe Ziele erreichen können. Er schreibt, dass «höhere Leistung nicht nur Wettbewerb nicht benötigt, sondern im Gegenteil die Absenz von Wettbewerb erfordert.» Eine gute Arbeit zu leisten und andere zu schlagen haben sind zwei unterschiedliche Dinge, die nichts miteinander zu tun haben.

Der Pygmalion Effekt

Interessanterweise – wenn die Vorgesetzten glauben, dass ihre Mitarbeiter gut performen werden, dann tun diese es auch. Das zeigt eine Studie von J. Sterling Livingston, die in der Harvard Business Review schon 1969 publiziert wurde. Ein analoges Resultat wurde u.a. 1982 in der Israelischen Armee festgestellt. Dieser Effekt wird Pygmalion Effekt genannt. Diese Untersuchung legt nahe, dass die Gesamtleistung eines Teams gesteigert werden kann, wenn die Führungskräfte erwarten, dass jeder gute Leistungen erbringt.

Das Gegenteil funktioniert übrigens auch. Wenn eine Führungskraft glaubt, dass einem Mitarbeiter Fähigkeiten und Motivation fehlen, dann werden diese negativen Erwartungen die Leistung des Mitarbeiters reduzieren. Das erkannte auch Qualitäts-Guru W. Edwards Deming. Er betonte, dass erzwungene Ranglisten und andere Leistungsbewertungen, die zu internem Wettbewerb führen, schlechtes Management sind, da sie die Motivation untergraben und bei Menschen, die zumindest anfangs gute Arbeit geleistet haben, Verachtung für das Management hervorrufen.

W. Edwards Deming ((Quelle Bild: leansixsigmadefinition.com)

Management umfasst hauptsächlich neuartige intellektuelle Aufgaben, keine routinemässige körperliche Arbeit

Oft wird die Analogie zum Sport genommen. Im Sport fördert der Wettbewerb Mann gegen Mann die Leistung. Aber die Analogie ist ein Trugschluss. Hunderte von Studien beweisen, dass intellektuelle Tätigkeiten, die Lernen und eine neue Art etwas zu tun erfordern, am besten funktionieren unter komplett anderen Bedingungen als Tätigkeiten, die man schon zig-mal in der Vergangenheit gemacht hat.
Menschen lernen besser neue Dinge, sind kreativ und leisten intellektuelle Tätigkeiten aller Art, wenn sie sich nicht ständig unter genauer Beobachtung fühlen, sich nicht ständig beurteilt fühlen und nicht in Anwesenheit eines direkten Konkurrenten arbeiten.

Sozialer Erleichterungseffekt vs. Sozialer Hemmungseffekt

Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass die Zusammenarbeit mit anderen, insbesondere mit Aussenstehenden, von denen man annimmt, dass sie die eigene Arbeit beurteilen, die Leistung bei Aufgaben steigert, die gut erlernt sind und keine neuen Fähigkeiten oder Reaktionen erfordern. Dies wird als sozialer Erleichterungseffekt bezeichnet.
Aber dieselben Bedingungen führen zu einer schlechteren Leistung bei Aufgaben, die komplexe mentale Prozesse und Aufmerksamkeit erfordern, der sogenannte soziale Hemmungseffekt, der es schwieriger macht, neue Dinge zu lernen oder neue Ideen zu entwickeln.

Organisationen leben von gegenseitiger Abhängigkeit, und nicht von Unabhängigkeit

Im Sport, z.B. in der Leichtathletik, zählen individuelle Stärken, individuelle Ausdauer, individuelles Können und individuelle mentale Stärken. Aber Unternehmen basieren auf gegenseitigen Abhängigkeiten. Produktivität, Leistung und Innovation sind das Resultat von gemeinsamer Aktion und nicht von individuellen Anstrengungen und Verhalten. Die Bereitschaft von Einzelpersonen, mit anderen Mitgliedern einer Organisation zusammenzuarbeiten, ist einer der wichtigsten Faktoren für die Effektivität und Effizienz einer Organisation.

Um intellektuelles Kapital zu erlernen, aufzubauen und zu nutzen, muss eine «Kultur des Teilens» entwickelt werden. Die Schaffung eines Klimas, in dem Menschen ungezwungen miteinander reden und interagieren, auch weil sie nicht miteinander konkurrieren, ist für die Entwicklung und den Transfer von Fähigkeiten und Wissen von entscheidender Bedeutung.

Die wichtigsten Führungsqualitäten sind deshalb die Fähigkeit, in Teams zu arbeiten, zusammenzuarbeiten und sich in andere hineinzuversetzen.

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Wie Unternehmen es vermeiden, Freunde zu Feinden zu machen

Eine der wirkungsvollsten und direktesten Methoden besteht darin, eine gemeinsame organisatorische Identität und gemeinsame Ziele und Interessen zu stärken, indem man externe Bedrohungen und Feinde hervorhebt.

Externer vs. interner Wettbewerb

Wettbewerb ist nicht per se schlecht. Im Gegenteil, er ist sehr gut, wenn das Wettbewerbsdenken vielmehr auf externe Konkurrenten als auf Menschen aus anderen Standorten, Einheiten oder Abteilungen innerhalb des Unternehmens oder sogar auf Kollegen in derselben Einheit gerichtet ist.

Ein gutes Beispiel dafür sind die Southwest Airlines in den USA. Als United Airlines mit dem United Shuttle direkt das Geschäftsmodell von Southwest Airlines angriffen, wurde innerhalb Southwest Airlines den United Airlines quasi der Krieg erklärt. Der gemeinsame Fokus auf den externen «Feind» half Southwest Airlines dabei, noch besser zu werden, als wenn United sie nicht konkurriert hätte.

Southwest Airlines (Quelle Bild: Wikipedia.org)

Auch Steve Jobs nutzte 1984 diesen Ansatz, als Apple den ersten Macintosh Computer auf den Markt brachte. Steve Jobs stellte in einer Ansprache an die gesamte Belegschaft von Apple den Konkurrenten IBM als ein Unternehmen dar, das die gesamte Computerindustrie und das gesamte Informationszeitalter zu dominieren versucht und eine Bedrohung für die zukünftige Freiheit der Branche darstellt.

Erster Macintosh 128 (Quelle Bild: Wikipedia.org)

Den internen Wettbewerb nicht zulassen

Eine andere Methode besteht darin, den internen Wettbewerb schlicht und einfach nicht zuzulassen, indem zum Beispiel Bonussysteme nicht auf individuellen Leistungen basieren, sondern ausschliesslich auf der Team- und Unternehmensleistung. Wer seinen eigenen Vorteil sucht und nicht den des Unternehmens oder des Teams, wird unmissverständlich daran erinnert, dass so ein Verhalten nicht erwünscht ist.
Wenn etwas, wie z. B. die Zusammenarbeit, für den Erfolg einer Organisation entscheidend ist, muss das Unternehmen dies irgendwann deutlich machen und die Botschaft durchsetzen. Das kann auf eine nette Art und Weise geschehen, aber die Ernsthaftigkeit der Bemühungen um die Entwicklung und den Transfer von Wissen muss kommuniziert und verstanden werden.

Wege zur Überwindung des destruktiven internen Wettbewerbs

  • Stellen Sie Mitarbeiter ein, belohnen Sie sie und binden Sie sie an das Unternehmen, auch auf der Grundlage ihrer Fähigkeit und Bereitschaft, mit anderen zum Wohl des Unternehmens zusammenzuarbeiten.
  • Entlassen, abwerten und bestrafen Sie Menschen, die nur in ihrem kurzfristigen Eigeninteresse handeln.
  • Konzentrieren Sie die Aufmerksamkeit und Energie der Mitarbeiter darauf, externe Wettbewerbsfaktoren zu besiegen, und nicht darauf, sich gegenseitig zu bekämpfen.
  • Vermeiden Sie Vergütungs- und Leistungsbewertungssysteme, die zu internem Wettbewerb führen.
  • Nutzen Sie Kennzahlen, die die Zusammenarbeit bewerten.
  • Bauen Sie eine Unternehmenskultur auf, in der der individuelle Erfolg zum Teil durch den Erfolg der Kollegen definiert wird.
  • Leben Sie als Führungskraft das richtige Verhalten vor, d.h. handeln Sie kooperativ, geben Sie Informationen weiter und helfen Sie anderen.
  • Befördern Sie Personen in Führungspositionen, die sich durch den Aufbau von Teams auszeichnen, in denen die Mitglieder zusammenarbeiten, Informationen austauschen und sich gegenseitig unterstützen.
  • Nutzen Sie Macht und Autorität, um Menschen und Einheiten dazu zu bringen, Informationen zu teilen, voneinander zu lernen und zusammenzuarbeiten, um die Gesamtleistung zu verbessern.
 

Quellen

The Knowing-Doing Gap – How Smart Companies Turn Knowledge into Action; von Jeffrey Pfeffer und Robert I. Sutton; Kapitel 6: When Internal Competition Turns Friends into Enemies;

Harvard Business School Press, 1999; ISBN: 978-1-5785-1124-2

Erhältlich u.a. bei Orell Füssli oder amazon.

 

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