David Moser
21.02.2024 / 6 Minuten Lesezeit

Zehn praktische Tipps für Digitalisierungsprojekte in der zerspanenden Industrie

Innovative Technologien, die Unternehmen stärker und wettbewerbsfähiger für die Zukunft machen, haben auch für die zerspanende Industrie viel zu bieten. In diesem Zusammenhang haben wir zehn praktische Leitlinien aufgestellt.
Quelle Bild: https://www.tebra-messer.de

Interreg ist ein Förderprogramm der EU für regionale Entwicklung, das thematische Schwerpunkte ausschreibt, auf welche sich Forschende mit Projektideen bewerben können. Initiant des Projektes «Machining 4.0» ist das Projektkonsortium unter Führung des Koordinators Sirris, einem belgischen Kooperationszentrum für die Technologieindustrie. Die Schweiz wird durch Swiss Mechatronics vertreten.

Um sie besser auf neue Herausforderungen wie Kleinserien, komplexere Produkte und kürzere Vorlaufzeiten vorzubereiten, zielt das Interreg-Projekt „Machining 4.0“ darauf ab, zerspanende KMU bei der Integration innovativer Technologien in ihre Produktion zu unterstützen: kollaborative Roboter, digitale Produktion, innovative Prozesse, …

Der Schwerpunkt des Projekts liegt auf der Entwicklung von praktischen Werkzeugen, Anwendungen und Workshops, damit diese KMU mit den neuesten Entwicklungen innerhalb der Industrie 4.0 arbeiten können.

Die folgenden praktischen Leitlinien wurden nach Rücksprache mit dem Machining 4.0-Konsortium auf der Grundlage langjähriger Erfahrungen mit der Unterstützung von Unternehmen erstellt.

1. Zuerst die Grundlagen schaffen

Es macht keinen Sinn, neue Technologien einzuführen, solange die grundlegenden Prozesse nicht unter Kontrolle sind. So ist es beispielsweise kontraproduktiv, fahrerlose Transportsysteme zu installieren, wenn die Korridore nicht sauber gehalten werden können, was für die Durchfahrt der Fahrzeuge erforderlich ist.

2. Keine voreiligen Lösungen

Zunächst sollte man das eigentliche Problem und die Fähigkeiten der Organisation verstehen, die für die Übernahme neuer Technologien erforderlich sind. Dazu sollten zunächst der Prozess und der Reifegrad der Organisation bewertet werden, bevor Lösungen erforscht werden.

Eine Organisation muss sich vergewissern, dass ihr Support-Personal über die notwendigen Fähigkeiten verfügt, um neue Technologien einzuführen und zu warten. Auch die erforderlichen Systeme (z. B. WLAN im Betrieb) sollten vorhanden sein, bevor einige Lösungen umgesetzt werden können.

3. Klärung des Business Case

Bevor Sie sich für eine grössere Investition entscheiden, sollten Sie den Business Case im Voraus detailliert ausarbeiten. Schätzen Sie den Wert des erwarteten Nutzens und geben Sie alle erwarteten Kosten an. Betrachten Sie alle Kosten, nicht nur die Kosten für die Ausrüstung selbst.

Die folgenden Kosten sind wichtig, werden aber oft vernachlässigt:

  • Wartungskosten
  • Schulungskosten
  • Kosten für zusätzliches hochqualifiziertes Personal (Programmierer)
  • kumulierte Softwaregebühren, Lizenzen
  • Kosten im Zusammenhang mit potenziellen Ausfällen der zusätzlichen Technologien (manchmal mit unternehmensweiten Auswirkungen)
  • Kosten im Zusammenhang mit der Cybersicherheit wie Versicherungskosten.

4. Unterschätzen Sie nicht die erforderlichen Fähigkeiten, um neue Technologien zu bedienen

Die Programmierung neuer Technologien – wie z. B. digitaler Arbeitsanweisungssysteme mit Projektion – wird einige Zeit in Anspruch nehmen, bis Ihr Personal die Technik beherrscht. Neben dem anfänglichen Lernen ist auch die Aufrechterhaltung der Fähigkeiten wichtig. Wenn die Mitarbeiter ein System nur selten programmieren müssen, müssen sie die Bedienung des Systems jedesmal neu erlernen.

5. Wählen Sie nicht nur die richtige Lösung, sondern auch den richtigen Implementierungspartner

Durch die Zusammenarbeit mit externen Partnern können Sie von den Erfahrungen anderer Unternehmen lernen. Sobald Sie sich für die Zusammenarbeit mit einem externen Partner entschieden haben, wird die Auswahl des richtigen Partners zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor.

Ihre Partner müssen über die richtigen analytischen und technischen Fähigkeiten während der Implementierungsphase verfügen und in der Lage sein, während der Wartungsphase rasch und angemessenzu reagieren.

Ein gutes Projekt beginnt mit klaren Erwartungen: Ermitteln Sie den Bedarf und schreiben Sie die Spezifikationen auf, um spätere Missverständnisse zu vermeiden.

6. Verwandeln Sie Ihre Daten in Wert

Bei Industrie-4.0-Anwendungen werden in der Regel viele Daten gesammelt. Die Daten selbst haben jedoch keinen Wert, so dass das Sammeln und Speichern von Daten nur Kosten verursacht. Die Erstellung ausgefallener Managementvisualisierungen mag die Leute beeindrucken, hat aber keinen wirklichen Wert.

Der Wert von Daten zeigt sich erst dann, wenn man tatsächlich etwas mit den Daten macht, das zu messbaren Verbesserungen führt. Die Festlegung spezifischer Verbesserungsziele kann dazu beitragen, dass sich Ihre Mitarbeiter darauf konzentrieren, Ihre Daten in Wert zu verwandeln.

7. Sicherstellung der Einbeziehung des Maschinenbedieners

Mit all den Daten, die verfügbar werden, wird es wichtiger denn je, die Erkenntnisse in Massnahmen umzusetzen! Um die Vorteile aller Daten im Zusammenhang mit Industrie 4.0 zu nutzen, ist häufig ein Kulturwandel erforderlich. Das Management muss verstehen, dass die Aufgabe des Mitarbeiters nicht nur darin besteht, zu produzieren, sondern auch, den Prozess zu verbessern.

Das Ziel der gesamten Datenerfassung ist es, den Bediener in die Lage zu versetzen, seine Arbeit besser zu machen, und nicht, ihn besser zu kontrollieren. Der Versuch, die Bediener besser zu kontrollieren, führt nur zu Unmut und Misstrauen.

Rohdaten können für das Bedienpersonal schwer zu interpretieren sein. Daher ist eine gute Datenvisualisierung unerlässlich, um das Bedienpersonal einzubinden. Und noch etwas: Stellen Sie sicher, dass Ihre Software benutzerfreundlich ist, z. B. sollten Ihre Mitarbeiter alle Informationen mit drei bis maximal fünf Klicks finden können.

8. Das grosse Ganze im Blick haben, aber klein anfangen

Verbesserungsmöglichkeiten gibt es nicht nur in der Produktion, sondern auch im Büro, insbesondere bei der Auftragsabwicklung, der Konstruktion und der Arbeitsvorbereitung.

Betrachten Sie nicht nur die derzeitige Situation, sondern stellen Sie sicher, dass Ihre Technologie zukunftssicher ist (denken Sie an Standards wie OPC-UA, MTConnect, …). Denken Sie auch an die Energie- und Umweltbelange.

Lassen Sie sich nicht von der langfristigen Perspektive lähmen, sondern wählen Sie einige relevante, aber relativ einfache Projekte aus, mit denen Sie beginnen.

Es ist oft besser, viele kleine Schritte zu machen, als das Unternehmen mit einem einzigen grossen, schwierigen Projekt zu gefährden.

9. Finden Sie das richtige Gleichgewicht zwischen Standardisierung und Flexibilität

Die Entscheidung „Make or Buy“ ist ein wichtiger Schritt auf Ihrem Weg. Die Eigenentwicklung von Lösungen bietet Ihnen viel Flexibilität, bringt aber auch viele Nachteile mit sich. Manchmal kann Standardsoftware die bessere Option sein als hochgradig angepasste Software, aber Sie sollten auf die Starrheit von Standardlösungen achten.

10. Auf einen Cyberangriff vorbereitet sein

Cyberangriffe auf Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes sind eine reale Bedrohung und können über mehrere Wochen hinweg zu erheblichen Störungen führen, die alle Vorteile der Digitalisierung zunichte machen. Daher sollten alle Fertigungsunternehmen über einen Cybersicherheitsplan verfügen, in dem die Präventiv- und Korrekturmassnahmen für den Fall festgelegt sind, dass sie dennoch von einem Cyberangriff betroffen sind.

 

Quellen

Quelle: Pascal Pollet, Sirris, überarbeitet und ergänzt von David Moser.

Das Original dieses Blogbeitrags wurde im Rahmen des NWE Interreg-Projekts Machining 4.0 veröffentlicht.

Literatur

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